Die Schweiz und der EWR verfolgen bei ihren Gesetzesinitiativen in Bezug auf Handelsplattformen für DLT-basierte Wertpapiere einen sehr fortschrittlichen Ansatz. Das Schweizer DLT-Gesetz führte eine neue Art von Finanzmarktinfrastrukturlizenz für Handelsplattformen für DLT-basierte Wertpapiere ein.
Unternehmen ohne bestehende Finanzmarktlizenz können diese neue Art von Lizenz beantragen. Antragsteller, die ein Geschäftsvolumen unterhalb bestimmter Schwellenwerte erwarten, qualifizieren sich für eine Sandbox-Lösung und profitieren von weniger strengen Anforderungen. Im Gegensatz dazu schlägt die Europäische Kommission eine Pilotregelung vor, um das Wasser zu testen, bevor weitreichende Änderungen der EWR-Finanzmarktregulierung eingeführt werden. Im Rahmen dieser Pilotregelung können MiFID-II-Wertpapierfirmen, Marktbetreiber oder Zentralverwahrer eine Genehmigung für den Betrieb einer DLT-Finanzmarktinfrastruktur beantragen. Die im Rahmen dieser Pilotregelung gesammelten Erfahrungen werden analysiert und dem EU-Rat und dem EU-Parlament spätestens nach einem Zeitraum von fünf Jahren vorgelegt. Anschließend werden dauerhafte und umfassende gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen.
Trotz der unterschiedlichen Ansätze zielen beide Gesetzgebungsinitiativen darauf ab, die Möglichkeiten zu nutzen, die die DLT in Bezug auf Tätigkeiten bietet, die traditionell den Zentralverwahrern und Handelsplattformbetreibern vorbehalten sind. Sowohl die Schweiz als auch der EWR führen die Möglichkeit ein, diese Aktivitäten unter einer Finanzmarktinfrastruktur zu vereinen, die DLT-basierte Wertpapiere zentral verwahrt, multilateralen Handel ermöglicht und Transaktionen abwickelt.
Schweiz
Die neue Art von Finanzmarktinfrastruktur, die mit dem Schweizer DLT-Gesetz eingeführt wird, nennt sich “DLT-Handelssystem”. Ein DLT-Handelssystem ist eine kommerziell betriebene Einrichtung für den multilateralen Handel von DLT-Wertpapieren. Ihr Zweck ist der gleichzeitige Austausch von Geboten zwischen mehreren Teilnehmern und der Abschluss von Verträgen auf der Grundlage von nichtdiskretionären Regeln. Um das DLT-Handelssystem eindeutig vom multilateralen Handelssystem (MTF) abzugrenzen, muss zusätzlich eine der folgenden Anforderungen erfüllt sein: (i) Zulassung von anderen juristischen Personen als beaufsichtigten Finanzinstituten oder Privatkunden als Teilnehmer; (ii) Bereitstellung einer zentralen Verwahrung von DLT-Wertpapieren auf der Grundlage einheitlicher Regeln und Verfahren; (iii) Bereitstellung von Clearing und Abrechnung für Transaktionen mit DLT-Wertpapieren auf der Grundlage einheitlicher Regeln und Verfahren.
Neben dem multilateralen Handel mit DLT-Wertpapieren kann das DLT-Handelssystem auch den Handel mit Instrumenten anbieten, die nicht als Wertpapiere gelten, wie etwa Kryptowährungen. Nach dem Entwurf der DLT-Verordnung sind jedoch Derivate in Form von DLT-Wertpapieren, Instrumente, die die Einhaltung von Anti-Geldwäsche-Bestimmungen erschweren (z.B. Privacy Coins), oder Instrumente, die die Integrität oder Stabilität des Finanzsystems beeinträchtigen könnten, nicht zum Handel zugelassen.
Im Vergleich zu einer traditionellen Börse oder einem MTF hat ein DLT-Handelssystem zwei wesentliche regulatorische Vorteile:
Erstens kann ein DLT-Handelssystem nicht nur regulierte Finanzintermediäre als Teilnehmer zulassen, sondern auch andere juristische Personen und Privatkunden. Die beiden letztgenannten können jedoch nur zugelassen werden, wenn sie in ihrem eigenen Namen und auf eigene Rechnung handeln. Dies soll die Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung erleichtern. Damit die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) ihre Aufgaben erfüllen kann, müssen ihr alle Beteiligten, ob sie der Aufsicht der FINMA unterstehen oder nicht, auf Anfrage Informationen oder Unterlagen zur Verfügung stellen.
Zweitens wird es einem DLT-Handelsplatz erlaubt sein, zentrale Verwahrungs-, Clearing- und Abwicklungsdienstleistungen für DLT-Wertpapiere anzubieten, z.B. auf einer Blockchain. Dies ist eine wichtige Neuerung, da MTFs und Börsen derzeit auf einen Zentralverwahrer angewiesen sind, um diese Funktionen zu erfüllen. Ein DLT-Handelssystem darf jedoch keine DLT-Wertpapiere zentral abrechnen, um eine Risikokonzentration zu vermeiden. Diese Tätigkeit bleibt den zentralen Gegenparteien vorbehalten.
Die Anforderungen, um eine Zulassung als DLT-Handelssystem zu erhalten, werden denen für die Zulassung als Börse oder MTF ähnlich sein. Zusätzliche Anforderungen, ähnlich denen für Zentralverwahrer, gelten, wenn das DLT-Handelssystem nicht nur den multilateralen Handel ermöglicht, sondern auch DLT-Wertpapiere zentral verwahrt oder Transaktionen abwickelt.
DLT-Handelseinrichtungen müssen von einer Schweizer Stelle betrieben werden, mit Ausnahme der Möglichkeit, bestimmte Dienstleistungen auszulagern. Mit anderen Worten: Eine vollständig dezentralisierte Handelsplattform wird in der Schweiz nicht als DLT-Handelseinrichtung lizenziert werden. Weitere erwähnenswerte Anforderungen sind beispielsweise die Einrichtung einer von den Geschäftsfunktionen unabhängigen Selbstregulierungs- und Aufsichtsorganisation. Diese Organisation muss unter anderem einen fairen und offenen Zugang zum DLT-Handelssystem sowie einen geordneten und transparenten Handel sicherstellen. Die Mindestkapitalanforderung beträgt 1 Million Franken.
DLT-Handelssysteme, die neben der Ermöglichung des multilateralen Handels auch zentrale Verwahrungs-, Clearing- oder Abwicklungsdienstleistungen anbieten, unterliegen zusätzlichen Anforderungen. Dazu gehören beispielsweise Anforderungen an die Trennung von Vermögenswerten, die Festlegung von Verfahren für den Fall des Ausfalls eines Teilnehmers, die Risikodiversifizierung sowie Liquiditäts- und Sicherheitenanforderungen. Die Mindestkapitalanforderung für DLT-Handelseinrichtungen mit solchen zusätzlichen CSD-Funktionen beträgt 5 Millionen Franken.
Um Start-ups und kleinere Institutionen zu ermutigen, Innovationen zu fördern, sieht der DLT-Gesetzesentwurf eine Sandbox-Regelung für kleine DLT-Handelseinrichtungen vor. Gemäss dem Entwurf der DLT-Verordnung gilt ein DLT-Handelssystem als klein, wenn sein Handelsvolumen mit DLT-Wertpapieren weniger als 250 Millionen Franken pro Jahr beträgt, das Volumen der verwahrten DLT-Wertpapiere weniger als 100 Millionen Franken beträgt und das Clearing- und Abwicklungsvolumen weniger als 250 Millionen Franken pro Jahr beträgt. Kleine DLT-Handelssysteme können von mehreren erleichterten Anforderungen profitieren. Diese Erleichterungen zielen insbesondere darauf ab, den erforderlichen Personal- und Organisationsaufwand zu reduzieren. Der Verordnungsentwurf legt die Mindestkapitalanforderung für kleine DLT-Handelssysteme auf CHF 500’000 und für kleine DLT-Handelssysteme, die Verwahrungs-, Clearing- und Abwicklungsdienstleistungen erbringen, auf 5 % der verwahrten DLT-Wertschriften fest, mindestens jedoch auf CHF 500’000.
Europäischer Wirtschaftsraum
Die vorgeschlagene PDMIR-Pilotregelung für DLT-basierte Marktinfrastrukturen zielt darauf ab, Erkenntnisse und Erfahrungen zu sammeln, bevor weitreichende und dauerhafte Änderungen an den bestehenden Finanzdienstleistungsgesetzen eingeführt werden. So müssen die Betreiber von DLT-Marktinfrastrukturen der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) und der zuständigen nationalen Behörde alle sechs Monate einen Bericht über ihre Tätigkeit, einschließlich der aufgetretenen Schwierigkeiten und Probleme, vorlegen. Die ESMA wird eine Koordinierungsfunktion zwischen den zuständigen nationalen Behörden wahrnehmen und die Ergebnisse der Pilotregelung jährlich bewerten. Spätestens nach fünf Jahren werden die ESMA und die Europäische Kommission dem Rat und dem Parlament Bericht erstatten, woraufhin weitere gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen werden.
Eine DLT-Marktinfrastruktur ist nach der PDMIR entweder ein DLT-Multilaterales Handelssystem oder ein DLT-Wertpapierabwicklungssystem. Die Genehmigungen für den Betrieb beider Arten von DLT-Marktinfrastrukturen werden von der zuständigen nationalen Behörde erteilt, die die ESMA konsultieren muss, bevor sie über einen Antrag entscheidet. Eine Genehmigung ist höchstens sechs Jahre lang gültig. Nur Wertpapierfirmen oder Marktbetreiber gemäß MiFID II sind berechtigt, ein multilaterales Handelssystem zu betreiben, während nur Zentralverwahrer gemäß der Zentralverwahrer-Verordnung ein DLT-Wertpapierabrechnungssystem betreiben können. Mit anderen Worten: Es wird erwartet, dass die DLT-Marktinfrastrukturen vorerst weitgehend von etablierten Unternehmen betrieben werden, die bereits heute als Wertpapierfirma, Marktbetreiber oder Zentralverwahrer zugelassen sind.
Die Wertpapierfirmen, Marktbetreiber oder Zentralverwahrer, die eine Genehmigung für den Betrieb einer DLT-Marktinfrastruktur beantragen, müssen ihrer zuständigen nationalen Behörde unter anderem einen detaillierten Geschäftsplan vorlegen, in dem sie beschreiben, wie sie ihre Dienstleistungen und Tätigkeiten erbringen wollen, den Einsatz von DLT beschreiben, ihre IT- und Cybervorkehrungen beschreiben und eine Übergangsstrategie festlegen. Letztere muss die Strategie des Betreibers für den Übergang oder die Beendigung seiner Geschäftstätigkeit für den Fall beschreiben, dass die DLT-Marktinfrastruktur nicht wie beabsichtigt funktionieren kann, z. B. wenn die Genehmigung entzogen wird.
Grundsätzlich gelten die Anforderungen für den Betrieb eines traditionellen MTF oder CSD auch für Betreiber einer DLT-Marktinfrastruktur, jedoch können die nationalen Aufsichtsbehörden auf Antrag Ausnahmen gewähren. Solche Ausnahmen werden es den Betreibern von DLT-Marktinfrastrukturen ermöglichen, die mit der DLT verbundenen Möglichkeiten zu nutzen. Insbesondere kann der Betreiber eines multilateralen DLT-Handelssystems eine Ausnahme von der Anforderung beantragen, DLT-Wertpapiere im Effektengiro zu erfassen und nur DLT-Wertpapiere zum Handel zuzulassen, die bei einem Zentralverwahrer registriert sind. Diese Ausnahmen können nur gewährt werden, wenn das multilaterale DLT-Handelssystem i) die Verbuchung von DLT-Wertpapieren in einer Weise sicherstellt, die eine zeitnahe Trennung der Vermögenswerte ermöglicht, ii) Geschäfte mit DLT-Wertpapieren gegen Zahlung abwickelt, iii) zeitnahe Abwicklungsinformationen und Transaktionsbestätigungen bereitstellt und iv) die sichere Verwahrung der DLT-Wertpapiere, der damit verbundenen Zahlungen und Sicherheiten gewährleistet. Ein Zentralverwahrer, der ein DLT-Wertpapierabrechnungssystem betreibt, kann Ausnahmen von den Anforderungen der Zentralverwahrer-Verordnung beantragen, z. B. von der Anforderung, entmaterialisierte Finanzinstrumente buchmäßig zu erfassen, Wertpapierkonten zu führen und die Vermögenswerte der Teilnehmer in der in der Zentralverwahrer-Verordnung festgelegten Weise zu trennen. Ausnahmen werden nur gewährt, wenn der Betreiber des DLT-Wertpapierabrechnungssystems nachweisen kann, dass das verwendete Distributed-Ledger-System in der Lage ist, die Nichteinhaltung der Anforderungen der Zentralverwahrer-Verordnung auszugleichen. Darüber hinaus kann der Betreiber eines DLT-Wertpapierabrechnungssystems auch beantragen, dass nicht nur beaufsichtigte Unternehmen, sondern alle Arten von juristischen und natürlichen Personen als Teilnehmer zugelassen werden. Solche Personen können jedoch nur zugelassen werden, wenn sie fachlich geeignet und gut beleumdet sind und den Nachhandel und die Funktionsweise von DLT gut genug verstehen.
Der PDMIR-Vorschlag sieht darüber hinaus Sicherheitsvorkehrungen vor, um sicherzustellen, dass die Pilotregelung keine Gefahr für die Finanzstabilität darstellt. Betreiber von multilateralen DLT-Handelssystemen dürfen nur solche DLT-Wertpapiere zum Handel zulassen und Betreiber von DLT-Wertpapierabrechnungssystemen dürfen nur solche DLT-Wertpapiere erfassen, bei denen es sich entweder (i) um Aktien eines Emittenten mit einer Marktkapitalisierung von weniger als 200 Millionen Euro oder (ii) um Anleihen mit einem Emissionsvolumen von weniger als 500 Millionen Euro handelt. Staatsanleihen dürfen nicht zum Handel zugelassen oder überhaupt nicht erfasst werden. Darüber hinaus muss der Gesamtmarktwert von DLT-Wertpapieren, die im DLT-Wertpapierabwicklungssystem oder im multilateralen DLT-Handelssystem erfasst sind, weniger als 2,5 Mrd. EUR betragen. Die Betreiber von DLT-Marktinfrastrukturen müssen der zuständigen nationalen Behörde monatlich einen Bericht über die Einhaltung dieser Beschränkungen vorlegen.
Fazit
Das Schweizer DLT-Gesetz und der Entwurf der EWR-PDMIR bieten die Möglichkeit, die Effizienz des multilateralen Handels, der zentralen Verwahrung und der Transaktionsabwicklung zu verbessern.
Der Entwurfsstatus und der Pilotregime-Ansatz der EWR-PDMIR werden einige Marktteilnehmer vorerst davon abhalten, Maßnahmen zu ergreifen, um eine DLT-Marktinfrastruktur zu werden. Darüber hinaus haben etablierte Marktteilnehmer im Rahmen der EWR-PDMIR einen erheblichen Vorteil gegenüber Herausforderern, da sie bereits die Hürde der Zulassung als MiFID-II-Wertpapierfirma, Marktbetreiber oder Zentralverwahrer genommen haben, die eine Voraussetzung für die Beantragung der Genehmigung zum Betrieb eines DLT-Handelssystems ist. In der Schweiz hingegen ist das DLT-Gesetz fertiggestellt und die ergänzende Verordnung ist weit fortgeschritten. Dies bietet bereits genügend regulatorische Sicherheit, um die ersten Schritte zu einem DLT-Handelssystem zu planen und durchzuführen. Zudem ist die Sandbox-Lösung für kleine DLT-Handelssysteme ein sinnvoller Ansatz, um die Eintrittsbarrieren für Herausforderer zu senken.
Die Einführung von Ledger-basierten Wertpapieren in der Schweiz schafft Rechtssicherheit und ermöglicht mehr Effizienz bei der Erfassung und Übertragung von Wertpapieren. Im EWR müssen Emittenten auf der Grundlage der Gesetze des jeweiligen Mitgliedstaates prüfen, ob Wertpapiere unter Verwendung von DLT gültig emittiert werden können.
Auch wenn die Regulierungsinitiativen die rechtliche Grundlage für Innovationen unter Verwendung von DLT bilden, bleibt abzuwarten, welche Anforderungen in der Praxis Herausforderungen darstellen werden und ob bald Marktstandards für die Verwendung von DLT in diesem Bereich entwickelt werden. Zudem ist derzeit ungewiss, ob die Regulierung von DLT-basierten Wertpapieren und DLT-Handelsplattformen irgendwann durch internationale Standards oder regulatorische Vorgaben international koordiniert werden wird. Vor allem die Arbeit der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO) zu diesem Thema wird zu beobachten sein.
Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Ausschnitt aus dem über 90 Seiten umfassenden Security Token Report 2021, der vom Crypto Research Report und Cointelegraph Consulting mitherausgegeben wird. Der Bericht wurde von dreizehn Autoren erstellt und von Crypto Finance, Blocklabs Capital Management, HyperTrader, Ten31 Bank, Stadler Völkel Rechtsanwälte, Riddle&Code, Coinfinity, Bitpanda Pro, Tokeny Solutions, AlgoTrader, und Elevated Returns unterstützt.